Exilierung

Erstplatzierter des Schreibwettbewerbs von CyrrisMai 2024

Eigentlich war's ein guter Tag gewesen. Pünktlich war er an dem Tag aufgewacht, pünktlich hatte er dem werten Herren Frühstück gebracht und am Rande die Gespräche mit dem Verwalter mitbekommen. Alles lief nach Plan, hatte man da gesagt. Der beste Wein Nemediens war rechtzeitig angekommen, man konnte den Berater aus Ophir mit allerlei Speisen und Dekorationen zufriedenstellen, und die gesamte Dienerschaft war aufgeregt. Cyrris hatte geholfen unzählige Löffel, Messer und Gabeln zu polieren, und hatte persönlich dafür gesorgt, dass genug an Kerzen und Lampenöl im Lager war. Teppiche waren ausgeklopft, Wäsche war gewaschen, und jeder, vom hohen Herren und seiner baldigen Frau bis zum jüngsten Knecht, hatte sich herausgeputzt. Es fehlten nur noch Gäste.

Cyrris war den ganzen Tag beschäftigt gewesen. Kisten tragen, dem dekorierten Saal den letzten Feinschliff geben, den Musikern zeigen, wo sie zu spielen hatten. Hin und wieder fand er Zeit dem einen oder anderen schönen Gesicht zuzulächeln, dem Stallburschen einen Schnaps zuzuschmuggeln und der baldigen Dame des Hauses ein kleines Gänseblümchen zu schenken, das einer der Blumenfrauen aus dem Korb gefallen war. Sie hatte ihm wieder diesen dankbaren Blick zugeworfen. Und er gab ihr da ein ganz besonderes Lächeln, denn er wusste, er hatte ihr etwas versprochen.

Ja, es war ein guter Tag gewesen. Als die ersten Gäste kamen, als die ersten Musikklänge den Saal erfüllten, da stand das Festessen schon. Auf vielen, langen Tischen wurde tagelange Küchenarbeit kunstvoll präsentiert. Es duftete köstlich. Es schmeckte vermutlich noch besser. Und das meiste von dem, was noch am Folgetag übrig bleiben würde, war für die Dienerschaft vorgesehen. Als er da gestanden hatte mit aufmerksamem Blick, um diesen oder jenen Adligen oder Würdenträger oder dergleichen mit Aufmerksamkeit und Alkohol zu beschenken, da hatte er sich durchaus darauf gefreut, vom Festessen kosten zu können und den einen oder anderen Schluck teuren Wein sich zu erschleichen.

Cyrris hatte seinen Herren angepriesen, und mehr noch die Zukünftige des Herren. Er hatte mit manchen der Herrschaften gescherzt, aber nie über ein angemessenes Mass hinaus. Er war unsichtbar, wenn notwendig, sichtbar, wenn erwünscht. Sein Herr war gut zu ihm, bezahlte ihn gut, und auch wenn jener alt geworden war, Cyrris war zuversichtlich, dass er, als Bediensteter, bis an sein Lebensende die Privilegien seiner Arbeit auskosten könne. Ein wenig Ruhm, Reichtum und Macht färbten sicherlich auf ihn ab, in einer so grossen Gesellschaft wie an jenem Abend.

Der Abend war mehr als gut und verlief reibungslos. Am Höhepunkt der Feier wollte der gute Herr eine Rede halten. Cyrris hatte, mit anderen Bediensteten zusammen, klare Anweisung bekommen, wer zu dem Zeitpunkt welches Getränk bekam. Jeder Gast sollte mit dem beschenkt werden, was ihnen am besten schmecken würde. Auch der gute Herr, dem Cyrris selbst das befüllte Glas reichte. Und als ein jeder das eigene Getränk bekommen hatte, da bat die Zukünftige des Herren sich bitte zurückzuziehen, denn der Tag war bisher anstrengend gewesen. Dies wurde ihr in aller Verständnis gewährt. Und Cyrris, als guter, fürsorglicher Diener, er führte sie natürlich in ihre Gemächer, damit sie, abseits des Trubels, zur Ruhe käme.

Der Herr wusste nichts davon, dass das geplant war. Aber der Herr wusste vieles nicht, was in seinem Haushalt passierte. Von Liebeleien innerhalb der Dienerschaft, von Gerüchten die sich verbreiteten, von Vorräten die doch schneller sich verbrauchten als der Verwalter vorgerechnet hatte, aber auch von der Einsamkeit der werten Dame, die in ihrem Turm oben manche Nacht mit Cyrris gemeinsam verbrachte. Die Dienerschaft munkelte natürlich, der Bedienstete habe es auf sie abgesehen. Aber es war viel unschuldiger.

Wie so oft bat sie ihn, von seinem Tag zu erzählen, also erzählte er. Er hatte keine Geheimnisse vor ihr, denn sie lachte ob jeder seiner Berichte, sei es die Nacht im Stroh die er mit jemandem verbrachte, oder den heimlich mitgenommenen Käse, den er mit den Jüngsten der Dienerschaft teilte, oder das Getratsche beim Wäschewaschen. So berichtete er über seinen nun vergangenen Tag. Eben vom Stallburschen, der den Schnaps nötig hatte, und woher das Gänseblümchen kam, das sie mit in ihren Blumenkranz gearbeitet hatte. Auch vom eigentlichen Fest erzählte er, im Wissen, dass sie zwar lächelnd, aber unglücklich das Geschehen beobachtet hatte. Er konnte von diesem oder jenem Gast berichten, was er aufgeschnappt hatte an Plänen, Wünschen oder auch manchem verächtlichen Kommentar einem anderen Gast gegenüber. Und Komplimente reichte er ihr weiter, denn viele waren gekommen sie zu sehen, und man sah sie als schön an, und wertvoll, und eine Bereicherung an jenem Abend.

Die Nacht war schön gewesen. Die Sterne waren klar, der Abend kühl. Das Erzählen war, wie so oft, ins Philosophieren abgedriftet, aber die junge Dame, sie hatte ihre Sorgen vergessen. Irgendwann war es Zeit zu gehen. Cyrris verabschiedete sich mit einem Lächeln und dem Versprechen, wiederzukommen, wie es in manch' anderer Nacht versprochen wurde. Und dann, auf heimlichen Wegen zurück zu den Räumlichkeiten der Dienerschaft findend, da endete der schöne Tag und auch die schöne Nacht.

So wie er jetzt hier kniete, die Hände am Rücken gefesselt, Wange und Auge geschwollen, dreckig, getreten und verprügelt, ungewaschen und mit zumindest noch der Würde von Unterhemd und Bruche, da war's vorbei mit schönen Tagen. Kein Festessen. Kein Alkohol. Keine Spaziergänge in der Stadt. Keine Gespräche unterm Sternenlicht. Er sah hoch zu den Würdenträgern, die ihm die Schuld gaben. Würdenträger, mit denen er noch die Nacht zuvor gescherzt hatte, ihnen Wein und Naschereien angeboten hatte, und vor denen er seinen nun sterbenden Herren gelobt hatte.

"Du bleibst bei deiner Aussage, Abschaum?"

Cyrris seufzte schwer, den Kopf liess er wieder resigniert hängen.

"Ich habe den Herren nicht vergiftet", wiederholte er. "Ich habe keinen Grund dazu und-", und schon wieder knallte ein Stock auf seinen eh schon schmerzenden Leib. Er kippte vor Schmerz um, aber man zwang ihn wieder auf die Knie. Natürlich glaubte man ihm nicht. Sie hatten es ihm erklärt.

"Der Dreckskerl vergiftet seinen Herren und vergreift sich an dessen Verlobte! Hängt ihn doch einfach! Oder werft ihn in eine der Arenen, damit die ganze Stadt was davon hat!" Das war der wütende Ausbruch eines der anderen Gäste des vergangenen Abends.

"Wie wäre es, ihn vorher durch die Stadt zu treiben?", so der schadenfreudige Einwurf von jemand anderem.

"Nein, nein", kam es aus noch einer Richtung. Und während er kniete und sich den vorherigen Tag zurück wünschte, warf man Ideen hin und her, eine grausamer als die andere. Die hohen Herrschaften hatten es sich in den Kopf gesetzt, ihn zu bestrafen, für eine Tat, die er nicht begangen hatte. Das war's, mit allem Ruhm. Das war's, mit allen Zukunftsplänen. Da gingen sie dahin, Wünsche und Träume allesamt. Er hörte nicht mehr zu, wie man über sein Schicksal entschied. Er würde eh sterben. Und besser war's, vielleicht, wenn er nicht mitbekam, wie genau sein Tod aussähe.

In Gedanken hielt er sich einfach fest an seinen letzten Tag, den er in Freiheit verbracht hatte. Ja. Das war ein eigentlich ziemlich guter Tag gewesen.